Du liest die letzte Seite, die letzte Line, der Konflikt ist gelöst. Diese Charaktere, denen du die ganze Zeit gefolgt bist, haben das Ziel ihrer Geschichte erreicht. Das ist das Ende, es gibt nichts mehr für dich zu lesen. Die Charaktere leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage, aber du fühlst dich verloren, niedergeschmettert, zerstört oder sprachlos. Du willst mehr über diese Charaktere lesen, welche du lieben gelernt hast. Aber dort ist nichts. Das Einzige was bleibt ist die Erinnerung und deine Vorstellung wie es weitergehen könnte.
Kommt dir das bekannt vor? Das Fachwort ist Post-Book Blues.
Jedes Mal, wenn ich eine Geschichte beende, fühle ich mich verloren und auch ein wenig Furcht über das was kommen wird. Ich denke weiterhin über diese Charaktere nach, erinnere mich an bestimmte Punkte in der Story oder an ein Zitat. Dieses Gefühl bleibt für ein paar Tage bis es einfach, still und leise aus meinem Kopf verschwindet. Während dieser Zeit lese ich eventuell noch ein paar Zeilen oder springe zu einem bestimmten Punkt in der Geschichte aber der Herzensschmerz bleibt. Das Einzige, was an diesem Moment hilft ist eine neue Geschichte. Eine weitere Möglichkeit dich zu verlieren, neue Charaktere die du lieben kannst. Nun begleiten sie dich bis zum Ende. Bis dieser verfluchte Kreis erneut beginnt.
Ich war mir diesem Gefühl gar nicht bewusst, bis ich einen bestimmten Blogpost gelesen habe. Seitdem erwischt mich dieses Gefühl jedes Mal. Doch eines ist mir aufgefallen, worüber ich hier heute ein paar Worte verlieren möchte: Gibt es einen Unterschied zwischen dem Lesen und dem Schauen einer Geschichte?
Ich glaube ich muss nicht erläutern, dass ich viele Visual Novels lese, oder dass ich auch gerne mal das ein oder andere Buch zur Hand genommen habe. Doch genauso gerne habe ich viele Serien, Filme und Anime in meiner Lebenszeit geschaut. Dies sind auch Medien, die eine Geschichte erzählen, bei denen du den Charakteren folgst und auch möchtest, dass sie ihre Geschichte mit einem fröhlichen Ende bezwingen. Jedoch ist mir bewusst geworden, dass dieses Gefühl von Post-Book-Blues, wie es der Name schon impliziert, nur bei geschriebenen Geschichten auftritt. Ich möchte diesem Unterschied auf dem Grund gehen und vielleicht eine Erklärung dafür finden.
Es fällt wie Regen an einem warmen Sommertag
Es ist 20:15; Primetime im Deutschen Fernsehen. Ein großer Teil der Deutschen sitzt wahrscheinlich nun vor dem Fernseher, um sich den heutigen Blockbuster oder Spielshow anzuschauen. Das war auf jeden Fall bei mir der Fall. Bis heute ist 20:15 eine besondere Zeit für mich. Erst nachdem die Uhr diese Zeit überschritten hat beginnt für mich der Abend und an genau dieser Uhrzeit ist dieses Gefühl von dem ich gerade gesprochen habe, geprägt worden.
Wir setzen uns vor den Fernseher und lassen uns berieseln; Tag für Tag. Die Geschichten im Fernsehen werden uns förmlich vorgekaut. Wir müssen es nur noch auf uns wirken lassen. In den seltensten Fällen müssen wir mal selbst mitdenken oder uns Gedanken um die Motive der Charaktere machen. Diese werden uns am Ende nichtsdestotrotz erzählt – warum also die Mühe machen. Oder wenn wir etwas nicht verstanden haben, hat man dann jemals zurückgespult? Das ging maximal mit dem damaligen Entertainmentpaket/Box des jeweiligen Internetanbieters, bei mir von der Telekom. Mal ganz davon zu schweigen mit welcher Art und Weise diese Geschichte erzählt wurden. Dazu habe ich ein paar Worte hier verloren.
Die Art und Weise, wie das Spiel aussieht, wie es sich spielen lässt und es sich präsentiert, ist einzigartig. Man könnte meinen, man befindet sich in einem Ghibli Anime. Doch was hat mich hier nun so berührt, dass ich ein paar Worte darüber verlieren möchte…
https://visual-novel.info/wie-erzaehlen-wir-eigentlich-unsere-geschichten/
Abgesehen davon, dass wir uns nur berieseln lassen, gibt es aber noch einen größeren Punkt, warum ich denke, dass dieses Gefühl auftritt. Film, Serien oder Anime werden selten, wenn überhaupt, in der Ich-Perspektive erzählt. Das führt dazu, dass man primär als Außenstehender die Geschichte mitbekommt. Die Bindung zu den Charakteren ist nicht so stark und die Geschichte nimmt uns nicht mal annähernd so mit.
In Visual Novels und Büchern jedoch ist die primäre Erzählweise der Ich-Erzähler. Das führt zu einer engeren Charakterbindung. Durch diesen Erzähler ist man mitten in der Geschichte und nicht nur ein beteiligter Außenstehender. Das gesamte Erlebnis und Wahrnehmung ist komplett anders.
Und ich denke hier haben wir schon unseren Schuldigen gefunden.
Dadurch, dass wir uns so fühlen, als ob wir Teil der Geschichte waren, kommt ein Gefühl der Nostalgie hoch. Wir vermissen die Bindungen, die wir zu den einzelnen Charakteren aufgebaut haben – denken an die Abenteuer zurück, die wir mit ihnen hatten. Auch wenn wir uns nicht immer mit dem Hauptcharakter identifizieren konnten, haben wir uns doch als Teil von ihm gefühlt. Wir haben die Geschichte selber miterlebt.
Dadurch, dass die Geschichte nun vorbei ist, werden wir wahrscheinlich nie mehr etwas von den Charakteren lesen, die wir kennengelernt haben. Das verstärkt dieses Gefühl der Nostalgie und Verlorenheit. Dieses Gefühl kommt in unserem tagtäglichen Leben selten hoch. Wann verabschieden wir uns schon von Freunden, womöglich für immer?
Das Gefühl, was wir in beiden Situationen verspüren ist dasselbe – nur die eine Situation kommt häufiger vor als die andere. Es ist nur menschlich solche Gefühle zu verspüren, auch wenn diese Gefühle nicht aus Beziehungen vom echten Leben stammen. Damals habe ich dieses Gefühl immer gehasst. Wer mag es sich schon so zu fühlen, als ob man etwas verloren hat? Aber mit der Zeit – und der Hilfe von South Park – habe ich meine Meinung dahingehend geändert. Solange man dieses Gefühl noch verspürt, bleibt man menschlich und man sollte froh sein, dass man diese Gefühle verspüren kann …