Wie erzählen wir eigentlich unsere Geschichten?

Ich hab heute eine andere Art von Spiel beendet. Ein kleines Spiel mit dem Namen Behind the Frame: The Finest Scenery. Das Spiel kam für mich aus dem Nichts. Ich hatte noch nie etwas davon gehört, bis ich es bei einer Streamerin gesehen hatte. Die Art und Weise, wie das Spiel aussieht, wie es sich spielen lässt und es sich präsentiert, ist einzigartig. Man könnte meinen, man befindet sich in einem Ghibli Anime. Doch was hat mich hier nun so berührt, dass ich ein paar Worte darüber verlieren möchte…

Lasst uns eine Geschichte erzählen …

In Visual Novels geht es nur um Geschichten. In seltenen Fällen gibt es natürlich auch andere Features oder Mechaniken, die eine Visual Novel abheben, aber nie ist etwas anderes als die Geschichte im Vordergrund. Hierzu habe ich schon damals ein paar Worte verloren.

In meine Kopf bestand nie die Frage, ob Higurashi oder ähnliche Werke als Spiele gelten. Ich muss diese Werke mit Maus und Tastatur an meinem Rechner genießen. Das machte sie automatisch zu Spielen für mich. Es fiel mehr jetzt sogar schwer, ein anderes Wort als  „spielen“ zu benutzen, um zu beschreiben, dass ich diese Werke ja konsumiert habe. Deswegen die Frage: Was macht ein Spiel zum Spiel?

https://visual-novel.info/was-macht-ein-spiel-zum-spiel/

Aber eine Geschichte ist nicht gleich eine Geschichte. Die Besonderheit bei jeder Geschichte ist der Modus operandi. Welche Mittel werden genutzt, um eine Geschichte zu erzählen. Hierbei kann man sehr kreativ werden oder sich an bereits etablierten Konzepten angliedern. Möchte man es dem Leser einfach machen, ihn selber mitdenken lassen oder es zum Ziel machen dem Leser die Interpretation der Geschichte komplett offenzulassen? Ich möchte an der Stelle erwähnen, dass ich kein Linguistikstudent bin und nur aus eigenen Erfahrungen und Gedanken rede.

Ich denke, ein guter Anfang ist die Erzählperspektive. Wer im Deutschunterricht gut aufgepasst hat, der wird jetzt wissen worüber ich reden werde. Für diejenigen, die wie ich, gerne im uninteressanten Unterricht lieber geschlafen haben, hier ein kurzer Abriss aus dem typologischen Modell der Erzählsituationen;

Der auktoriale Erzähler

Oder auch der allwissende Erzähler. Er ist Gott und verfolgt das Geschehen von außen. Er ist sich den Gefühlen und Gedanken aller Personen bewusst und kann diese Wiedergeben. Dies führt dazu, dass er Zusammenhänge erklären kann, rückblickend Schlüsse ziehen kann und sogar Geschehnisse vorwegnehmen kann. Wir sind also komplett live dabei.

Der Ich-Erzähler

In diesem Fall erfahren wir das Geschehnis nur aus einer Perspektive. Meist aus der eines Hauptcharakters. Wir sind uns unserer eigenen Gefühle und Gedanken bewusst, können aber auch nur aus unserer Perspektive Dinge erfahren oder rückblickend wahrnehmen.

Der neutrale Erzähler

Wir schauen von außerhalb auf das Geschehen. Wir sehen wie die Personen handeln, kommentieren oder werten jedoch nicht über das Geschehen. Wer das ein oder andere Pflichtdrama in der Schule gelesen hat, der weiß, wovon ich rede. Faust lässt grüßen!

Der personale Erzähler

Hier gibt es eine große Schnittmenge mit dem Ich-Erzähler. Wir wissen zwar, was in unserer Person vor sicht geht, erzählen es jedoch nicht aus der Ich-Perspektive sondern aus der Er/Sie-Perspektive. Wir wissen jedoch trotzdem alles über die Person. Als Beispiel hat unsere Lehrerein gerne eine Kamera genommen. Im Falle des personalen Erzählers folgt die Kamera der Person auf Schritt und Tritt, im Falle des Ich-Erzählers tragen wir die Kamera selber.

So sind wir jetzt alle wieder im selben Boot, damit ich diese Begriffe nun durchgehend benutzen kann? … Gut!

Hibike! Euphonium – Großartiger Anime nebenbei!~

Jede Geschichte nutzt diese Erzählperspektive anders. Das erste Beispiel, was mir dazu in den Kopf kam ist Higurashi. Um genau zu sein Higurashi When They Cry Hou – Ch. 1 Onikakushi. Im allerersten Kapitel von Higurashi folgen wir Keiichi Maebara, wie er sich im kleinen Dorf zurechtfindet, neue Freunde gewinnt und Teil der Gesellschaft wird. Man folgt ihm die gesamte Zeit aus der Ich-Perspektive. Man erfährt seine Gefühle und seine Gedanken rund um die Geschehnisse in Hinamizawa. Wer Higurashi schon komplett durchgespielt hat, der wird merken, wie genial die Story in ihrer Art und Weise ausgerollt wird. Durch die Nutzung der Ich-Perspektive werden fast alle Geschehnisse im Hintergrund bedeckt gehalten, man erfährt nie mehr als man selber gesehen hat. Man wird über alles im Dunkeln gelassen und ist am Ende der Geschichte eventuell nicht schlauer als vorher. Durch diesen Mangel an Informationen wird es nicht nur zu einer linearen Geschichte, sondern man wird dazu angeregt die auftauchenden Fragen selber zu beantworten.

Higurashi macht etwas ganz Besonderes. Das Werk begrenzt sich nicht nur auf das eigentliche Vergnügen am Lesen, sondern auch um das Spekulieren über die Story. Es macht unglaublichen Spaß, sich mit anderen über diese Story zu unterhalten, Gedanken und Ideen auszutauschen.

https://visual-novel.info/was-macht-ein-spiel-zum-spiel/

Dieses Erlebnis wird aus dem Mix zwischen den verschiedenen Erzählern erreicht. Nun gibt es aber auch Geschichten, die einen relativ ronstanten Erzähler beinhalten. Ein bekannteres Beispiel wäre hier Life is Strange. Wer jetzt gut bei dem Beispiel mit den Kameras aufgepasst hat und Life is Strange gespielt hat, der wird wissen welcher Erzähler hier benutzt wurde.

Wir schauen Max Caulfield über den gesamten Verlauf der Story über die Schulter. Die Geschichte wird uns im Stile des personalen Erzähler mitgeteilt. Doch obwohl sich der Erzähler im gesamten Verlauf nicht ändert, bekommen wir hier wieder eine geniale Story aufgetischt. Dies liegt in dem Falle daran, wie die Story aufgebaut ist. Insgesamt gibt es drei Erzählstränge, die sich über die gesamte Geschichte strecken. Zuerst haben wie den übergeordneten Konflikt rund um die Superkraft, die Max besitzt und der Bedrohung rund um Arcadia Bay. Als nächsten Erzählstrang haben wir die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Chloe und Max, die vom übergeordneten Konflikt befeuert wird. Darunter haben wir zuletzt den inneren Konflikt von Max, der auch wieder sein Feuerholz vom zwischenmenschlichen Konflikt bekommt. Doch nicht nur die Art der Erzählung macht Life is Strange zu einem besonderen Erlebnis. Wir müssen selbst ermitteln, selber mitdenken, während wir noch weiterhin im Mitten des Geschehens sind. Wir sind zwar immer noch linear unterwegs, werden aber mit eingebunden und müssen uns die Zusammenhänge selber aufzeichnen, sonst kommen wir in der Geschichte nicht weiter.

Wir sind zwar dazu gezwungen selber Tätig zu werden, aber am Ende bekommen wir die Geschichte immer noch erzählt und müssen uns diese nicht selber zusammenbauen. Und hier schließen wir den Kreis wieder zu Behind the Frame: The Finest Scenery

Behind the Frame: The Finest Scenery besitzt einen neutralen Erzähler. Wir bekommen alle Geschehnisse nur als Aussenstehender mit, ohne das von uns gewertet wird. Die einzige Wertung, die wir bekommen sind die Rätsel und die Handlungen von unser am Anfang namenlosen Künstlerin. Wir begleiten sie, wie sie ein Gemälde für eine Ausstellung malt. Wir begleiten sie dabei, wie sie ihr Essen zubereitet, die Musik anstellt und wie sie sich über dem Gemälde in ihrer eigenen Wohnung wundert.

Warte, wer wundert sich über die Gemälde in der eigenen Wohnung und warum haben wir nur gelbe Farbe? Wo haben wir denn die anderen Farben gelassen? Hier beginnt die eigentliche Geschichte.

Es kommt zwar ein neutraler Erzähler zum Einsatz, aber wirklich erzählt wird im eigentlichen Sinne nichts. Die einzigen Informationen, die zu uns fließen, erscheinen durch die Handlungen der Künstlerin und den Bildern, die wir durch die gelösten Rätsel zu Gesicht bekommen. Dadurch, dass wir ein Gemälde verändern und es optimieren, wird uns mehr von der hinterliegenden Geschichte erzählt. Wir müssen uns nicht nur die Lösungen zu den Rätseln suchen, sondern müssen uns auch selber Erklären, was eigentlich gerade mit uns passiert. Es wird einem nichts deutlich an den Kopf geworfen. In kleinen Schritten wird uns mehr und mehr erzählt.

Diese Art und Weise der Erzählung kommt in einer bildlichen Form noch einmal deutlich besser rüber als in einer schriftlichen. Die Bilder sind in der Lage dich in den Bann zu ziehen, dir Kontext Clues zu geben und dich die Geschichte einfach selber erleben zu lassen, ohne viel Vorweg zu nehmen.


Lange Rede, kurzer Sinn; Behind the Frame besitzt eine besondere Erzählweise, welche sich von den konventionellen Spielen abhebt. Wer einen Abend frei hat, dem kann ich nur ans Herz legen, dieses Spiel zu spielen.

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